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Am 20.09.1935 musterte der 44 Jahre alte Kapitän zur See Karl Dönitz an der
Tirpitz-Mole in Kiel die Streitmacht, deren Chef er gerade geworden war. Vor ihm im Wasser
des Ostsee-Hafens schwammen neun U-Boote. Keines von ihnen war größer als 250 Tonnen,
"Einbäume", wie sie ihre Besatzungsmitglieder nannten. Es war die kleinste und schwächste
U-Boot-Flottille der Welt, die Flottille "Weddigen". Es hatte den Anschein, deutsche U-Boote könnten
künftig allenfalls am Rande bewaffneter Auseinandersetzungen eine Rolle spielen.
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| Führer der U-Boote - Karl Dönitz |
Nur wenige Wochen bevor Karl Dönitz zum Führer der U-Boote ernannt
worden war, hatten das Deutsche Reich und Großbritannien am 18.06.1935 einen Vertrag
geschlossen, der die Flotten beider Länder in ein exaktes Verhältnis zueinander
setzte. Das Dritte Reich verpflichtete sich, die Stärke seiner Kriegsmarine auf 35 Prozent
der britischen Seestreitkräfte zu begrenzen.
Eine Ausnahme machten die U-Boote, denn
den Deutschen wurde erlaubt, ihre Unterwasserflotte auf 45 Prozent der britischen zu bringen
und diese Relation vielleicht auch noch zu erhöhen. Unter Umständen sogar so weit,
bis sie mit der britischen U-Flotte gleichzogen.
Zu diesem Zeitpunkt bedeutete dies nicht viel.
Großbritanniens Flotte war ausschließlich auf Überwasserschiffe ausgerichtet.
Die damals mächtigste Seemacht der Welt unterhielt kaum fünfzig U-Boote. Auch
waffentechnisch hatte das U-Boot offenbar keine Zukunft. Tatsächlich war die Kampfkraft
der U-Boote seit Beginn des Ersten Weltkriegs nie so gering eingeschätzt worden wie ausgerechnet
zu dem Zeitpunkt, da Karl Dönitz die Führung der deutschen U-Boot-Waffe übernahm.
Zu dieser Unterschätzung trug bei, dass die britische Marine ein Ortungsgerät bis
zur technischen Perfektion entwickelt hatte, mit dem U-Boote unter Wasser aufgespürt werden
konnten. Mit diesem "Asdic"-Gerät konnte man U-Boote sogar schon auf eine Entfernung orten,
in der ihnen ein sicherer Torpedoschuß auf ein Ziel nicht möglich war.
Dieser fühlbare Fortschritt gegenüber den älteren Geräten aus früheren
Jahren wiegte den britischen Admiralstab in Sicherheit, der der Meinung war, dass die
Gefahr durch die U-Boote im wesentlichen überwunden war. Mitte der dreißiger Jahre
formulierte die britische Admiralität ihre Überzeugung vom Sieg über den unsichtbaren
Feind: "Das U-Boot wird nie wieder fähig sein, uns vor das Problem zu stellen, dem wir uns
1917 gegenüber sahen."
Das von Admiral Erich Raeder geleitete Oberkommando der
deutschen Kriegsmarine teilte 1936/1937, weitestgehend die britische Einschätzung der Wirksamkeit
von U-Booten. Nicht U-Boote, sondern große Überwasser-Einheiten wie Schlachtschiffe und
Schwere Kreuzer würden auch jedem zukünftigen Krieg den Kampf auf See entscheiden. Diese
Einstellung wurde am 23.11.1936 noch weiter bestärkt, denn an diesem Tag war das Deutsche
Reich dem internationalen U-Boot-Abkommen beigetreten. Dieser Vertrag verpflichtete die
Unterzeichner-Staaten, den U-Boot-Krieg ausschließlich nach den Vorschriften der Prisenordnung
zu führen. Ein U-Boot konnte diesen Vorschriften kaum nachkommen, ohne sich selber in Gefahr
zu bringen, was den U-Boot-Krieg nicht beliebter machte. Zudem befand sich die deutsche Marineführung
in dem Glauben, dass sie ihre Schiffe und U-Boote vorerst nicht gegen England fahren lassen
müßte, denn Adolf Hitler hatte ihr Mitte der dreißiger Jahre immer wieder
versichert, es werde vorerst keinen Krieg gegen Großbritannien geben.
Wie ein roter
Faden zieht sich die Unterschätzung des U-Bootes in einem künftigen Krieg durch die
strategischen Überlegungen des Oberkommandos der Kriegsmarine. Scheinbar vergessen schien,
dass die U-Boote in Ersten Weltkrieg einen großen und erfolgreichen Kampf gekämpft
hatte. Vergessen war, dass die kleinen Tauchboote England viel stärker bedrängten, als
es die Schlachtschiffgeschwader der Kaiserlichen Marine vermocht hatten.
Es ist kaum noch
erstaunlich, dass der FdU, Karl Dönitz nicht zu den Beratungen eines von Großadmiral
Erich Raeder 1939 gegründeten Planungsausschusses, der sich mit den Fragen der Marinerüstung
befaßte, eingeladen wurde.
Auch der sogenannte Z-Plan, mit dem die Führung der deutschen Kriegsmarine im Winter 1938/1939 ihr
Flottenbau-Programm festschrieb, konzentrierte sich lediglich auf schwere Schiffe. Bis 1945 sollten sechs
neue Schlachtschiffe, acht Panzerschiffe, fünf Schwere Kreuzer, vier Flugzeugträger
und vierzehn Leichte Kreuzer fertiggestellt sein. Den U-Booten war auch in diesem Plan nur
geringe Bedeutung beigemessen worden. Insgesamt sollten 223 bis zum Jahre 1945 gebaut werden.
Die Pläne der deutschen Marineführung spiegelten die von englischen Anschauungen
geprägten Ansichten vom Aufbau einer Flotte wider.
Vielleicht hätte die Geschichte
das Urteil der britischen und deutschen Admiralität über die Bedeutungslosigkeit der
U-Boote bestätigt, wenn nicht gerade Karl Dönitz Führer der U-Boote gewesen wäre.
In dieser Position entpuppte er sich als bedeutenster Seestratege dieses Jahrhunderts.
Er schloß sehr viel früher als das Oberkommando der deutschen Kriegsmarine in seine
Überlegungen ein, dass auch in einem künftigen Krieg wieder Großbritannien
Deutschlands bedeutendster Feind zu See sein würde.
Doch über Wasser würde
die Royal Navy um ein Vielfaches überlegen sein. Ein Seekrieg mit Aussicht auf Erfolg, so
fand Dönitz, konnte ausschließlich von den U-Booten gegen den schwächsten Punkt
in Englands maritimer Verteidigungslinie geführt werden, die notwendige Versorgung der
Insel über See.
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| Ein großer Atlantik-Konvoi auf dem Weg zu seinem Zielhafen |
Karl Dönitz ging daran, die scheinbar stumpfe Waffe U-Boot zu
schärfen: "Ich glaube an die Kampfkraft des U-Bootes. Ich hielt es nach wie vor für
ein ausgezeichnetes Angriffsmittel des Seekrieges, für den bestmöglichen Torpedo-Träger."
Gegen das englische Asdic-Ortungsgerät, das U-Boote unter Wasser entdecken sollte, setzte
Karl Dönitz den Überwasser-Angriff der Boote bei Nacht: "Ich hielt die sichere Wirkung
des Asdic für nicht erwiesen. Auf jeden Fall weigere ich mich, aufgrund der englischen
Veröffentlichungen klein beizugeben."
Gegen die Lehre, den Torpedo auf ein feindliches
Schiff aus weiter Entfernung zu lösen, setzte er den Angriff aus der Nähe mit einer
Schußentfernung von 600 Metern.
Gegen das Geleitzugsystem, bei dem eine große
Zahl von Frachtern von Kriegsschiffen, die zur U-Boot-Bekämpfung ausgerüstet waren,
begleitet wurden, setzte Karl Dönitz die "Rudeltaktik", den gemeinsamen Angriff mehrerer
U-Boote zur gleichen Zeit.
Bei seiner Entwicklung dieses Angriffsprinzips, das die
deutsche U-Boot-Flotte zu einer der kampfkräftigsten Einheiten des zweiten Weltkriegs
machte, zog Karl Dönitz als einer der wenigen verantwortlichen deutschen Seeoffiziere die
richtigen Schlüsse aus den Lehren des Ersten Weltkrieges, denn damals operierten und
kämpften die U-Boote alleine. "Damals operierte und kämpfte das U-Boot allein. An
dem Geleitzugsystem war der deutsche U-Boot-Krieg gescheitert. Aber es ist eine der natürlichsten
Forderungen, dass man im Kampf möglichst stark sein will, ihn nicht allein bestehen
möchte, sondern versucht, die Waffenhilfe anderer zu bekommen. Seit urdenklichen Zeiten
rottete man sich daher für den Kampf zusammen und versammelte sich unter gemeinsamer,
einheitlicher Führung. Der Massierung von Zielen in einem Kriegsschiffverband oder einem
Geleitzug ist also eine Massierung von U-Booten entgegenzusetzen."
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| Zukünftige Kommandanten bei der Ausbildung |
Karl Dönitz
führte in jenen ersten Jahren der neuen deutschen U-Boot-Waffe den Besatzungen die Handhabung
der Boote persönlich vor: "Ich lehrte den Sehrohr- und Überwasserangriff. Der Kommandant
musste das Gefühl dafür bekommen, wann er über Wasser gesehen wird und wann
nicht, wann vor einem gesicherten Flugzeug oder Fahrzeug getaucht werden muß oder wann das
Boot über Wasser bleiben kann." Über das Ergebnis der von ihm geleiteten Ausbildung
schrieb der FdU: "Da es meine Art war sehr persönlich zu führen, lernten die
Besatzungen mich bald kennen. So konnte sich gegenseitiges Vertrauen bilden. Ein guter Geist erfüllte
die U-Boot-Waffe."
Die Flotte von Karl Dönitz wuchs aber nur langsam. Im Jahre 1936
lieferten die Werften 21 Boote ab, 1937 nur ein einziges, 1938 neun Boote und 1939 18 Boote. Viele
der neuen Boote waren Boote des Typs VII, dessen
Eigenschaften nach der Ansicht von Karl Dönitz die "beste Synthese zwischen sich widersprechenden
Forderungen" darstellten.
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| Ein typischer Vertreter des Typs VII |
Ein U-Boot durfte nicht so groß werden, dass seine
tauchtechnischen Eigenschaften und seine Manövrierfähigkeit litten, es durfte aber andererseits
nicht so klein sein, dass sein Aktionsbereich einen Einsatz im Atlantik unmöglich
machte.
England konnte, so rechnete der brilliante Seestratege Dönitz, nur auf
den Schifffahrtswegen im Westen der Insel empfindlich getroffen werden. Leider waren dies
Gebiete, die von den kleinen "Einbäumen" nicht erreicht werden konnten.
Das U-Boot
vom Typ VII, dessen Bau Dönitz betrieb, stellte sich
später als eine der erfolgreichsten deutschen Waffen im Zweiten Weltkrieg heraus.
Im Winter 1938/1939 rückte die kleine Flotte des FdU, der mittlerweile zum Kommodore,
befördert worden war, zu einem Kriegsspiel in den Atlantik aus. Diese kleine Flotte
übte den Rudelangriff gegen Geleitzüge. Bei diesem Seemanöver gewann Karl Dönitz
Gewißheit darüber, was nötig war, um England zu schlagen: "Für einen
erfolgreichen Handelskrieg sind mindestens 300 Front-U-Boote erforderlich. Bei dieser Zahl
wird gerechnet, dass hundert U-Boote jeweils zur Überholung und Erholung der
Besatzungen in der Werft liegen, hunterte U-Boote auf dem Marsch sind und hundert U-Boote im
Operationsgebiet am Feind stehen können."
Im Oberkommando der deutschen Kriegsmarine
aber kursierte im Frühjahr 1939 eine Denkschrift, in der es hieß. "Der U-Boot-Handelskrieg
gegen England hat heute für Deutschland keine Aussichten auf Erfolg. Jede gegenteilige
Ansicht, die sich etwa auf die große Zahl unserer U-Boote oder auf die Aussicht stützt,
dass die englische U-Boot-Abwehr auf hohem Atlantik weniger wirkungsvoll sein könnte
als erwartet, muß als abwegig bezeichnet werden. Es darf als erwiesen gelten, dass
jeder englische Konvoi, der mit Abwehrstreitkräften gesichert ist, die in der Lage sind,
jedes unter Wasser angreifende U-Boot mit Bestimmtheit zu vernichten." So tief verwurzelt waren
die Vorurteile, so groß die Widerstände, gegen die der Kommodore kämpfen musste.
Und das in einer Zeit in der der Krieg mit England nicht mehr nur möglich, sondern schon
wahrscheinlich geworden war.
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