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Der Mann im Horchraum von U 56 nahm als erster den Feind wahr: In
seinen Kopfhörern war das dumpfe mahlende Geräusch der Schrauben vieler Schiffe
zu hören. Die Geräusche wurden stärker, näherten sich und schwollen zu
brausendem Gedröhn an.
Es war der 30.10.1939, morgens kurz vor 10:00 Uhr. U 56
war wenige Meilen westlich der Orkney-Inseln auf Sehrohrtiefe weggetaucht. Kapitänleutnant
Wilhelm Zahn, Kommandant von U 56, hatte das Sehrohr wiederholt ausgefahren und rundherum
die Kimm gemustert.
Zunächst schien das Meer leer, doch nach kurzer Zeit waren
Rümpfe am Horizont emporgewachsen. Es waren die schlanken Silhouetten von Zerstörern,
insgesamt zehn. Die schnellen Schiffe fuhren U-Boot-Sicherung zum Schutze von Großbritanniens
wertvollstem Gut zur See.
Inmitten der Zerstörer-Meute stampften drei der kampfstärksten
Schlachtschiffe der Royal Navy durch die lange Dünung des Atlantik. Es handelte sich
um die "HMS Nelson" (34.000 BRT groß), ihr Schwesterschiff die "HMS Rodney" und die
"HMS Hood" (42.000 BRT groß). Die "HMS Hood" war England größtes Kriegsschiff
überhaupt.
Der britische Flottenverband furchte mit Marschgeschwindigkeit von 12
Knoten dahin, unerreichbar für U 56, das unter Wasser allenfalls 7.4 Knoten laufen konnte.
Doch dann geschah es: Die großen Schiffe änderten ihren Kurs und näherten sich schnell
dem Standort von U 56. Sie liefen dem lauernden U-Boot direkt vor die Rohre.
Die
Zerstörer, die die Schlachtschiffe vor U-Boot-Angriffen bewahren sollten, rauschten mit
weitem Abstand von den großen Schiffen durch die See. So befand sich das U-Boot plötzlich
zwischen den Zerstörern und den Schlachtschiffen, vom Feind unbemerkt, bereit zum vernichtenden
Schlag.
U 56 war vom B.d.U. Konteradmiral Karl Dönitz, im Seegebiet westlich
der Orkney-Inseln postiert worden.
Dönitz hatte vorausgesehen, was die Briten tun
würden, nachdem Günther Prien in der Bucht von Scapa Flow die "HMS Royal Oak" versenkt
hatte. Karl Dönitz erinnert sich: "Es war nach Priens Erfolg klar, dass die Engländer
alle möglichen Eindringlücken in die Bucht von Scapa Flow gründlich untersuchen und
völlig schließen würden. Während dieser Zeit würden sie die Bucht
räumen und die Heimatflottille auf einen anderen Liegeplatz führen. Ich nahm an, dass
das Loch Ewe an der schottischen Westküste, der Firth of Forth und der Firth of Clyde
hierfür in Frage kamen. Infolgedessen wurden entsprechende U-Boot-Unternehmungen dorthin
angesetzt."
Jetzt am 30.10.1939, zwei Wochen nach der Operation von Prien, schien die
Rechnung von Karl Dönitz bereits aufzugehen.
Kapitänleutnant Wilhelm Zahn verfolgte
durch das Sehrohr von U 56 die Bewegungen der Schlachtschiffe, die sich stetig der Position
seines U-Bootes näherten. Voran die "HMS Rodney" mit mächtiger, weiß gischtender
Bugwelle, dahinter die "HMS Nelson".
Die "HMS Nelson fuhr in diesem Moment einen Kurs, der
für U 56, wie Kapitänleutnant Zapp notierte, eine "ideale Schussposition"
bedeutete.
Es war ein historischer Augenblick. Der junge Kommandant von U 56 konnte
mit einem erfolgreichen Angriff nicht allein ein Schlachtschiff versenken, er hätte möglicherweise
den Verlauf des Krieges beeinflussen können, denn an Bord der "HMS Nelson" befand sich
wahrscheinlich Winston Churchill, damals noch Erster Lord der Admiralität, der Mann, der
sich als einer der grimmigsten und zähesten Gegner des nationalsozialistischen Deutschland
erweisen sollte, der Mann, der Großbritannien zu ungeheuren Anstrengungen anspornte, der
Architekt des Sieges der Alliiierten.
Die Nelson stand jetzt in einer Entfernung von weniger
als tausend Metern vor U 56. Sie kehrte dem Boot die Breitseite ihres Rumpfes zu. Uns so
wanderte der Umriss des Schlachtschiffs in das Fadenkreuz des Sehrohrs. Kommandant Zahn
befahl: "Dreierfächer Los!" Unmittelbar nacheinander glitten die drei Torpedos aus ihren
Rohren und liefen acht Meter unter der Wasseroberfläche auf ihr Ziel zu. Sofort ging
U 56 auf größere Tiefe, denn sobald die Torpedos explodiert waren, würden
zehn Zerstörer mit ihren Ortungsgeräten nach dem U-Boot suchen und den Bereich abdecken,
in dem sie U 56 vermuteten. Je tiefer das Boot weggetaucht war, desto größer
waren seine Aussichten, davonzukommen.
Viel Zeit hatte U 56 also nicht, denn zwischen
den Torpedoschüssen und den Treffer-Detonationen würden allenfalls 60 Sekunden vergehen.
Der Mann im Horchraum von U 56 blickte auf seine Stoppuhr, und jeder Mann der Besatzung zählte
heimlich mit. Auch Kommandant Zahn hatte sich die Kopfhörer aufgestülpt. Die Sekunden
flogen dahin. 50, 53, 55, 57 ... und dann drei helle hämmernde Schläge. Metall schlug
gegen Metall. Alle drei Torpedos waren auf dem Rumpf der "HMS Nelson" aufgetroffen.
Aber
den Aufschlägen folgte nicht das dumpfe Dröhnen der Explosion von mehr als einer Tonne
hochbrisanten Sprengstoffes, nicht das schrille Kreischen zerreißenden Metalls, nicht das
gurgelnde Geräusch des Wassers, das mit mächtigem Schwall in die Räume eines
torpedierten Schiffes eindringt.
Alle Torpedos von U 56 hatten ihr Ziel erreicht,
und alle drei hatten versagt. Die "HMS Nelson und mit ihr der gesamte britische Flottenverband
hielt Kurs und entschwand dem Sehrohr-Blickfeld von U-Boot-Kommandant Zahn. Unerreichbar für
das kleine U-Boot.
U 56 tauchte auf, und Kapitänleutnant Zahn ließ einen
Funkspruch an B.d.U. Karl Dönitz absetzen: "30. Oktober, 10:00 Uhr. 'Rodney', 'Nelson', 'Hood',
10 Zerstörer mit Kurs 240 Grad. 3 Torpedos geschossen, Versager".
Zehn Tage später
traf U 56 wieder im U-Boot-Stützpunkt Wilhelmshaven ein. Zahn berichtete seinem Admiral.
Dönitz notierte: "Der Kommandant des U-Bootes, der, sich voll einsetzend, innerhalb einer
feindlichen Sicherung von zehn Zerstörern diesen Angriff (auf die 'Nelson') durchgeführt
hatte, war nach diesem unverschuldeten Misserfolg so tief deprimiert, dass ich mich veranlaßt
sah, ihn zunächst als Front-Kommandant abzulösen und in der U-Boot-Ausbildung zu
verwenden. Dieser Misserfolg von U 56, war ein außerordentlicher militärischer
Fehlschlag."
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